Kopf oder Adler? Wie Geschworene zu ihrem Urteil kommen
 
In Louisville im US-Bundesstaat Kentucky hat eine Geschworenenjury, als sie sich in einem Mordprozess auch nach zweitägiger Beratung nicht auf Schuld- oder Freispruch einigen konnte, eine Münze aufgeworfen. Der Silberdollar befand den Mann für schuldig.
Eine englische Geschworenenjury hat eine Seance veranstaltet, um mit dem Mordopfer Kontakt aufzunehmen. Sie erhielt die Nachricht, dass der Angeklagte der Täter sei.
In Spanien hat eine Geschworenenjury einen ETA-Mann, der erwiesenermaßen zwei Polizisten erschossen hat, freigesprochen, aus Angst vor Rache und weil sie überdies die komplizierten Fragen im Bezug auf die Zurechenbarkeit wegen Alkoholisierung nicht verstanden haben.
Im US-Bundesstaat Illinois wurden am 15. Oktober 2002 in einer beispiellosen Aktion 140 von Geschworenengerichten gefällte Todesurteile aufgehoben, weil sie, wie der Gouverneur George Ryan sich ausdrückte, "in einem vor Fehlern strotzenden System ergangen sind".
Die Geschworenen im Foco-Prozess haben ihr Urteil widerrufen, weil sie, wie sie sagten, vom vorsitzenden Richter über den wahren Sachverhalt getäuscht wurden.
Der Freispruch eines Geschworenengerichtes für jene drei Männer der "Frontkämpfervereinigung", die am 30. Jänner 1927 in Schattendorf zwei Arbeiter und ein Kind erschossen hatten, führte zu den bis dahin schwersten Unruhen der ersten Republik, dem Brand des Justizpalastes am 15. Juli 1927, der am Anfang einer politischen Radikalisierung steht, die scheinbar unaufhaltsam zu den Februarkämpfen 1934 geführt hat.
Was hat es auf sich mit dem Geschworenenprozess? Ist er, wie die Befürworter behaupten, ein Garant der bürgerlichen Freiheit, ein Eckpfeiler der Demokratie, ein Bollwerk gegen staatliche Tyrannei oder, wie die Kritiker meinen, ein pseudodemokratischer Popanz, eine heilige Kuh, ein Alibispektakel für das Volk?
"Haben die Juristen ein begründetes Interesse, den Anschein zu erwecken, als seien sie die zuverlässigsten Freunde sämtlicher Missbräuche?", schrieb Heinrich Mann nach dem Schattendorf-Prozess. Nach dem Strafgesetzbuch seien die Angeklagten zwar schuldig, verkündete der Staatsanwalt im Schattendorf-Prozess, aber "es sei ohne weiteres zuzugeben, dass die moralische Schuld auf Seiten jener liege, die damals den sozialdemokratischen Gegenaufmarsch organisiert haben." Mit diesen Ausführungen legte der Staatsanwalt die Schienen zum Freispruch der Angeklagten.
Doch wie sehr die Geschworenen von den Berufsjuristen tatsächlich beeinflusst werden, wissen wir nicht, denn die letzte Phase des Prozesses, nämlich die Rechtsbelehrung und die "Besprechung aller Fragen", findet unter Ausschluss der Öffentlichkeit und der Parteien statt. Die Berufsrichter sind mit den Geschworenen alleine. Ist das demokratisch?
Geschworenenurteile werden nicht begründet. Das Urteil lautet auf schuldig oder nicht schuldig. Eine Tatsachenfeststellung, eine Schilderung des Sachverhaltes gibt es nicht. Hätten die Geschworenen im Foco-Prozess den Tathergang schildern müssen, so wären sie vermutlich gleich draufgekommen, dass es so nicht gewesen sein kann. Mangels Tatsachenfeststellung ist das Urteil der Geschworenen de facto unbekämpfbar. Eine Überprüfung des festgestellten Sachverhaltes kann nicht stattfinden, weil es keinen festgestellten Sachverhalt gibt. Ob ein unbegründetes Urteil den Erfordernissen eines "fair trial" entspricht, ist sehr zweifelhaft. In der Schweiz etwa, entschied das Bundesgericht bereits im Jahr 1952, ein Urteil bedürfe im Schuldspruch immer einer Begründung, damit es überprüft werden könne. Da dies bei einem Geschworenenurteil nicht möglich ist, wurden die Geschworenengerichte abgeschafft und durch Schöffengerichte ersetzt. In den meisten europäischen Ländern war dies schon früher der Fall. (Schöffen entscheiden mit den Berufsrichtern gemeinsam und die Berufsrichter verfassen die Begründung.) Für Österreich bedürfte es dazu einer Verfassungsänderung. Der in der Verfassung normierte Grundsatz der Mitwirkung des Volkes bliebe zwar unverändert, die Aufteilung in Geschworene und Schöffen müsste jedoch gestrichen werden.
Christian Broda, ein großer österreichischer Strafrechtsreformer, hat sich mit Entschiedenheit gegen die Bestrebungen zur Abschaffung der Geschworenengerichte gewendet, für ihn wäre das ein politischer Rechtsruck gewesen , und es wurde der Geschworenenprozess in Österreich damit zu einer Art von Broda-Denkmal. Ein anderer großer österreichischer Reformer, Udo Jesionek, erinnert sich an einen Laienrichter, welcher, nach langen Bemühungen, ihn zu einer Meinungsäußerung zu motivieren, meinte: "Sie werden es schon wissen, Sie haben es ja gelernt."
 
Katharina Rueprecht